Rezension: Jimmy Cliff – Rebirth

Wer in den 80ern zu Ska und Reggae gekommen ist – wie meine Gang und ich, der hat mit großer Wahrscheinlichkeit ein gespaltenes Verhältnis zu Jimmy Cliff.

Damals waren wir uns sicher, dass der Mann „es“ verloren hatte. Jimmy Cliff war jemand, der aus unserer Sicht unerträglichen Reggae light machte, mit E-Drums, Synthie-Bläsern und Reimen wie „Dance so sweet/to the Reggae Beat“. Seine Errungenschaften waren unbestritten. Über Klassiker wie „Vietnam“, „You Can Get It If You Really Want“ und „The Harder They Come“ gab es nichts zu diskutieren. Aber die „Weiterentwicklung“ in den 80ern? Erschütternd.

Ein gutes Beispiel war unser Ibizaurlaub circa 1985. Überall hingen Plakate von Jimmy Cliff. Wir dachten ernsthaft darüber nach, zu seinem Konzert zu gehen und ihm noch eine Chance zu geben. Auch wenn die Single, die dauernd im Radio lief, „Reggae Nights“ hieß. Ich meine mich zu erinnern, dass die zweite Hälfte des Refrains – unterlegt von einem digitalen Marimba-Werkssound – auf „Dancing Till The Morning Light“ endete.

Das Konzert fiel aber aus. Gründe dafür wurden nicht genannt. Jeden Morgen sahen wir auf dem Weg zum Strand, wie die Plakate vor sich hin fledderten. Und wir feixten, dass man ihm wohl nicht genügend Kokain geboten hätte. Gemein, ich weiß. Aber so waren wir. Ich will nicht sagen, dass wir ihm die Konzertabsage so richtig übel genommen hätten. Er spielte einfach keine Rolle mehr. Wie ein Onkel, der einem als Kind spannende Geschichten erzählt hat, der sich aber mit der Zeit als Idiot rausstellte.

Mehr als 25 Jahre sind jetzt vergangen. Die Konturen sind verschwommen. Wir selbst haben auch die eine oder andere Leiche im Keller. Da kann man schon mal altersmilde werden.

Man kann aber auch anerkennen, dass Jimmy Cliff 2012 mit seinem Album „Rebirth“ die komplette Geschichte auf den Kopf stellt. Wo holt er auf einmal wieder diese engagierten Texte auf rollenden Tunes her, an denen die Wiedergeburt des Early Reggae nicht spurlos vorbei gegangen ist? Und was ist mit der Stimme? Die ist ja noch immer voll hoch und voll da. Dabei ist der Mann über 70.

Schon bei der ersten Single „One More“ (mit richtigen Bläsern) gehen die Augenbrauen hoch. Und es kommt noch besser: Der Song „World Upside Down“ setzt genau da an, wo Cliff mit seinen Klassikern aufgehört hat – diese in die Leichtigkeit des Pop gebettete soziale Kommentare. Ich nehme ihm gerne wieder jedes Wort ab. Als hätte es die dunklen Jahre dazwischen nie gegeben.

Die Cover-Songs wie „Guns Of Brixton“ von The Clash sind sehr in Ordnung, aber viel bemerkenswerter finde ich die Sachen, die neu im Studio entstanden sind. Wenn er singt: „I’ve got one more arrow in my bow“, dann stimmt das einfach.

Wie konnte das passieren? Vielleicht hat Produzent Tim Armstrong (Rancid) so beharrlich versucht, nach dem echten, dem wahren Jimmy Cliff zu bohren, dass er irgendwann auf Gold stoßen musste. Vielleicht war Cliff aber auch einfach bereit. Es kann uns egal sein.

Ein Track nach dem anderen wird von meiner ergrauten Gang gefeiert. Wir würden es vielleicht Rehabilitation nennen. Jimmy Cliff selbst sagt „Rebirth.“ Auch gut. Der Onkel ist doch kein Idiot. Nachdem sich der Nebel gelichtet hat, wird klar, dass er sogar einer der ganz großen Helden ist. Trotz allem. Danke.

Joachim Uerschels mit Jimmy Cliff-Single

Mr. Cliff, ähm, könnten Sie bitte meine "Vietnam"-Single signieren?

“Rebirth” von Jimmy Cliff steht zur Wahl des “Best Ska Rocksteady Early Albums 2012.” Die Nominiertenliste wird hier aktualisiert.

{ 1 comment… read it below or add one }

Jan Juli 18, 2012 um 12:34

Bei den Musikern auch kein Wunder:
J Bonner – Aggrolites, Rhygin Rockers, The Vessels
Scott Abels – Aggrolites, Hepcat
Dan Boer – Dynamic Pressure

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