Dandy Livingstone hat noch etwas gut bei mir. Es ist eine alte Geschichte. Und Dandy kennt sie nicht. Trotzdem, es reicht ja, dass ich Bescheid weiß. Allein schon wegen dieser alten Geschichte zwischen Dandy und mir wäre es meine verdammte Pflicht gewesen, dieses Wochenende zum London International Ska Festival 2012 zu fahren (das fantastische Lineup enthält jede Menge weiterer Gründe).
Ich hätte liebend gerne bei seiner Show am Freitag – zusammen mit hunderten anderen schwitznassen Menschen aus aller Welt – bis zum Umfallen seine Hits wie „Suzanne Beware Of The Devil“ mitgegrölt. Er kommt nur für diesen einen Auftritt aus Jamaika nach Europa, zum ersten Mal seit ungefähr 40 Jahren. Aber ich muss passen. Letzte Woche habe ich mein Zugticket nach London storniert, aus persönlichen Gründen. Nichts Wildes, und sie tun auch nichts zur Sache. Was zählt ist, dass ich wieder nicht hinter Dandy stehe. Wie schon vor mehr als 32 Jahren.
Für mich fing alles am 17. Januar 1980 an. Die lange Version steht hier. In aller Kürze: An diesem Tag traten The Specials (und Madness) in mein Leben. Im Laufe einer Dreiviertelstunde wurde bei mir ein Schalter umgelegt. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Verantwortlichen von Radio Bremen für die Fernsehsendung „Musikladen“ damals nur Bands wie Showaddywaddy oder die Bellamy Brothers gebucht hätten.
Das Lied, das The Specials in dem Bremer Fernsehstudio vor den professionell ausgelassenen Gogo-Girls und gut gelaunten Discofreunden präsentierten, hieß „A Message To You, Rudy.“ Vielleicht haben die Moderatoren Manfred Sexauer und Auwa Thiemann in ihrer Ansage erwähnt, dass es sich um die Cover-Version eines jamaikanischen Hits aus den 60er Jahren handelt. Oder es wurde während der Performance eingeblendet. Egal, ich hab’s nicht gemerkt. Bei mir ist nicht viel mehr hängen geblieben als der Titel des Songs, und dass es das „Abgefahrenste“ (1980 in meinem Sprachgebrauch) war, das ich je gehört, gesehen, erlebt hatte.
Was am folgenden Tag geschah, erscheint aus heutiger Sicht einfach nur unglaubwürdig. Ich ging in einen Krefelder Plattenladen (eine Stadt von gut 200.000 Einwohnern), um die Single von „Rudy, A Message To You“ zu kaufen. Nach kürzester Zeit fand ich sie im Regal. Kein Foto auf dem Cover, aber mir doch egal. In der Phonothek (so hieß der Laden) gab es in die Theke eingelassene Kopfhörer, die die Form von Telefonhörern hatten. Man konnte sich einfach einen von ihnen ans Ohr halten, das Kabel rollte sich automatisch ab. Und dann hatte man die Wahl, ob man ganz lässig mit nur einem Hörer, oder etwas introvertierter mit je einem an jedem Ohr oder gesellig mit einem Freund die neuen Platten anhören wollte.
An diesem Tag übersprang ich den Part mit den Telefonen. Ich wusste ja, was ich wollte. Nur schnell nach Hause und das Erlebnis des letzten Abends wiederholen, inklusive unmotiviertem Rumhopsen. Mit der Straßenbahn bis zur Endstation, schnell rein ins Haus. Aber als sich die Platte sich auf meinem Dualplattenspieler drehte, war ich tausendmal verwirrter, als man das mit 13 sowieso schon ist. Denn der Sound aus der Single war ganz anders als das, was mich am Abend vorher so verändert hat. Viel weicher, bassiger. Kein bisschen kratzig. Die grobmotorischen Sprünge fielen aus.
Ein böser Verdacht kam auf. War ich einem Betrug aufgesessen? Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Zu dieser Zeit gab es viele „preiswerte“ Compilations, auf denen die Hits der Saison von Hilfskräften neu eingesungen wurden.
Erst als ich das Cover genauer untersuchte, wurde mir klar, was los war. Die Single enthielt nicht die Version der Specials, die ich aus dem Musikladen kannte – sondern das Original von Dandy Livingstone. Der hatte den Song 1967 geschrieben und ihn damals zu einem Hit gemacht. Eine deutsche Plattenfirma schien nun die Gunst der Stunde nutzen zu wollen, um mit einer Neuauflage der Single auf den guten alten Dandy aufmerksam zu machen.
Immerhin war meine Enttäuschung nicht so groß, dass ich die Single umgetauscht hätte. Und vier Monate später bekam ich das Album der Specials zum Geburtstag – mit ihrer Version von “A Message To You, Rudy”. Im Laufe der nächsten Monate und Jahre lernte ich dann nicht nur Dandy Livingstone, sondern auch eine Menge anderer jamaikanischer Urväter des Ska zu schätzen. Es wurde dann also doch noch alles gut. Aber für diese erste Begegnung mit Dandy Livingstone, dieses Entgleiten der Gesichtszüge, den Moment des tiefen Entsetzens, fühle ich mich noch immer schuldig.
Es wäre schön gewesen, das mit ihm mal unter vier Augen gerade zu rücken, mir die Absolution zu holen und die Single signieren zu lassen. Jajaja, hätte, wäre, wenn. Vielleicht schaffe ich ja wenigstens noch, die Single meinem Ska-Kumpel Peteonthebeat mitzugeben. Der macht’s richtig. Der fährt hin.
Joachim Uerschels