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Schaut man sich an, welche Alben die namhaften Ska-Labels in den letzten Jahren veröffentlicht haben, dann ist wohl klar: Der Trend geht weg von hohen Drehzahlen und hin zu Rocksteady und Early Reggae. Das heißt auch: mehr Orgel, weniger Bläser. In beiden Belangen (Drehzahl, Instrumente) fällt die Moskauer Band Shootki mit ihrem neuen Album „Turn Back Time“ aus der Zeit. Vielleicht erscheint es deswegen im Eigenverlag und nicht bei einem der besagten Labels. Mit fehlender Qualität hat es jedenfalls nichts zu tun.
Bläser
Schon nach wenigen Takten entsteht ein Klangwelt, wie sie in den späten 80ern Jahren von Bands wie den frühen The Busters, Skaos und den Mighty Mighty Bosstones gebaut wurde. Shootkis Songs werden nicht von Riddims getrieben, sondern von Melodien. Und die kommen zum großen Teil von Trompete, Saxophon und Posaune. Ich habe lange keine Platte mehr gehört, in der die Bläsersätze auch in Songs mit Gesang so dominant waren. Mal sind sie fein arrangiert, dann wieder drücken sie ganz gewaltig. Die Beats sind deutlich dünner, zum Teil frickelig mit vielen Breaks, hört man dieser Tage auch nicht so oft.
Einflüsse neben Ska
Shootki bedienen sich bei Swing und Punk, in der Sologitarre kann schon mal Surf anklingen. Oder etwas, das mich an Emo Rock denken lässt. Auch wenn das ungewohnt ist, für Abwechslung ist jedenfalls gesorgt. Die gibt’s auch sprachlich. Neben einigen Instrumentals sind ein paar Songs auf Englisch, andere auf Russisch. In seiner Heimatsprache fühlt sich der Sänger deutlich wohler, ist mein Eindruck – da geht er mehr nach vorne.
Die Bandbreite
Wenn es ein zentrales Stück gibt, dann ist es der Titelsong „Turn Back Time“. Ein Opus. Und auch da zeigen Shootki, was sie können, wenn sie fast unmerklich aus einem naiven Pling-Pling eine prächtige Soundwand entstehen lassen. Damit ist auch schon die Bandbreite der Band beschrieben. Vom minimalen, folkloristischen Thema über den erhabenen Pop-Wohlklang bis zum brachialen, die Welt umarmenden Mitgröhl-Chorus. Mal Hochzeitsband, dann Festival-Rocker.
Mag sein, dass Shootki damit nicht gerade dem Zeitgeist der Ska-Labels entsprechen. Aber hier sind die Entwicklungen ja auch in Wellen. Warum sollte ein Früh-70er Early Reggae-Sound moderner sein als ein Mittneunziger Third Wave-Style? Vor allem wenn der Uptempo Ska so frisch daher kommt wie bei Shootki. Als Sprungbrett auf die großen Rockfestivalbühnen wäre eine fettere Produktion hilfreich gewesen, aber abgesehen von den Kosten – dann hätte „Turn Back Time“ womöglich einen Großteil seines Charmes verloren.
Joachim Uerschels
Notes:
- Artist: Shootki
- Album name: Turn Back Time
- Release Date: early 2012
- Style: Third Wave Ska
- Record Label: self
- Country (Artist): Russia
- Country (Label): Russia